Wie viele neue Formen des Arbeitens und Zusammenarbeitens wird auch Coworking intensiv von der Forschung beobachtet. Uns erreichen immer mal wieder Anfragen, unsere Community zu einer Studie für eine Master-Thesis oder Bachelor-Arbeit einzuladen. Inzwischen sogar aus der spanischen Forschungsgemeinde. Wie kann ich einschätzen, ob sich die Mühe lohnt, daran teilzunehmen?
Hm, Coworking & Research – da fällt mir aus der Zusammenarbeit in der German Coworking Federation e.V. sofort eine Person ein: Johanna forscht über Coworking, ist Teil der Coworking-Szene, und seit einiger Zeit engagiert sie sich dafür, Ergebnisse der Forschung für die Coworking Community zur Verfügung zu stellen. Sie kann mir da bestimmt weiterhelfen!

Liebe Johanna, was ist Dein Forschungsgebiet an der Europa-Universität Viadrina?
Johanna: An der Viadrina forsche ich aktuell zu Fragen rund um die Reorganisation von Erwerbsarbeit in der Spätmoderne, insbesondere die Coworking-Bewegung. Besonders spannend finde ich dabei die Rolle der Gründer*innen und Betreiber*innen von Coworking Spaces vor dem Hintergrund der fortschreitenden Diversifizierung der Szene, aber genauso die Kommerzialisierung des Coworking-Begriffs.
Dazu nehme ich jährlich an der europäischen Coworking-Konferenz (Coworking Europe Conference) teil, und bin auch sonst ziemlich aktiv mit der Szene verbunden. Ich verfolge einen action research-Ansatz, wobei der Spagat zwischen objektiver Forscherinnen-Perspektive und Akteurin innerhalb der Bewegung nicht immer einfach ist.
Woran erkenne ich als Coworking Space ein seriöses Forschungsprojekt, das wir unterstützen sollten?
Johanna: Das fängt schon bei der Ansprache an. Außerdem: Wer steht hinter dem Projekt und gibt es mögliche Referenzen? Gleichfalls kann in meinen Augen jedes kleinere Projekt durchaus seriös sein. Du darfst als Informationsgeber*in sehr wohl eigennützig fragen: What’s in it for me?
- Je nach Disziplin kann es interessant sein, beispielsweise eine Netzwerkanalyse im Space machen zu lassen: Mit den Ergebnissen kann die Vernetzung der Coworker gefördert werden oder mal eine ganz andere Form von Feedback eingeholt werden.
- Oder wenn alle Spaces in Deiner Umgebung beforscht werden, kannst Du erkennen, wo noch ungenutzte Synergien liegen.
Themen gibt es viele, nur das Matching von Forschenden und dafür offene Spaces könnte besser sein. Dafür möchten wir mit der German Coworking Federation e.V. gerne ein möglicher Ansprechpartner sein.
Was rätst Du Bachelor-/Master-Studierenden als Alternative zum typischen Angehen der Coworking-Szene mit (teils nervenden) Fragebögen?
Johanna: Das Forschungsfeld ist ganz schön überforscht. Viele Spaces bekommen stets die gleichen Einladungen zu Umfragen – leider viel zu oft mit den gleichen Fragen. Im Bereich der quantitativen Studien bietet die Global Coworking Survey von deskmag einen ganz guten Überblick.
Spannender finde ich da tiefgründigere Betrachtungen im Sinne eines qualitativen Forschungsdesigns. Für Abschlussarbeiten können Interviews geführt oder eine teilnehmende Beobachtung durchgeführt werden. Letztendlich ist es gutzuheissen, wenn ein Mehrwert für die Coworking Spaces selbst entsteht und die Ergebnisse der Forschung nicht nur für die/den jeweilige/n Professor/in und die beste Freundin geschrieben werden.
Wie hat sich im Zuge Deiner Forschungen Deine Sicht auf das Thema Coworking verändert?
Johanna: Angefangen hat alles mit einem Seminar 2011, in dem ich das erste Mal Coworking Spaces näher kennengelernt habe. Damals führte ich erste Interviews im Wostel und Yorck52. Beide Coworking Spaces bestehen heute nicht mehr. Dann habe ich später auch meine Masterarbeit zum Thema Coworking mit angegliederter Kinderbetreuung geschrieben. Das ist immer noch sehr aktuell, wie die vielen Neugründungen der letzten Jahre zeigen.
Was ich in diesen fast 8 Jahren vor allem beobachte:
- Eine klarer werdende Abgrenzung von eher kleinen, oft von den Gründer*innen betriebenen Spaces, die organisch wachsen und den großen Coworking-Ketten, die momentan in alle wichtigen Städte ziehen und dort in exklusiven Lagen mit hoher Serviceorientierung Spaces aufmachen.
- Coworking Spaces, die an den Stadtrand oder in kleinere Städte ziehen und funktionieren. Das ist zum Beispiel für die vielen Pendler*innen interessant.
- Dann gibt es da noch solche Orte, die sich im ländlichen Raum ansiedeln. Dieses Thema schaue ich mir im nächsten Semester gemeinsam mit meinen Studierenden an, in dem wir Kreativorte und deren Gemeinschaften in Brandenburg näher unter die Lupe nehmen.
Schon vor 8 Jahren gab es einige Nischen-Spaces – aber die aktuelle Ausdifferenzierung und der stetige Anstieg der Anzahl von Coworking Spaces belegen, dass Coworking gekommen ist um zu bleiben.
In welchen Coworking Spaces hast Du bereits aktiv gearbeitet?
Johanna: Ich arbeite tageweise in verschiedenen Spaces, je nachdem wo ich gerade Interviews führe. Einen festen Platz hatte ich bislang in der Alten Kantine Wedding und in der Factory Berlin. Letztere ist zwar kein ‚wirklicher‘ Coworking Space, sondern stellt sich viel mehr als Club für Startups dar, der in dieser Zeit stark gewachsen ist.
Es war sehr spannend mitzuerleben, wie viel Community wirklich ‚passiert‘, wenn so ein Ort mit mehr als 1.500 Mitgliedern rasch wächst. Im Gegenzug dazu bevorzuge ich aber doch eher die kleinen Spaces, wo eine familiäre Atmosphäre herrscht und man sich tatsächlich noch grüßt, wenn man in den Space kommt und an einem ‚flex desk‘ Platz nimmt.
Engagierst Du Dich im Coworking Space der Viadrina, und was ist im universitären Coworking Space anders?
Johanna: Nun, leider ist dieser Uni-Space noch keine Realität. Hier liegt bereits das große Unterscheidungs-Merkmal zur freien Wirtschaft: Die Mühlen mahlen langsam! Und es ist nicht immer einfach den Förderlinien zu entsprechen, die bei einer Stiftungsuniversität und der Landesmittel-Vergabe greifen. Andere sind da schneller.
Nach vorerst gescheiterten Ansätzen, soll es nun aber in den kommenden Jahren soweit sein: Ein altes Mensa-Gebäude wird mit einer sehr hohen Fördersumme zu einem Coworking Space umgebaut. Mir gefällt besonders an dem geplanten Space, dass er nicht wie an vielen anderen Universitäten typisch auf eine Gründungsförderung der Absolvent*innen ausgelegt ist.
Solch ein Projekt gibt es schon lange an der Viadrina, aber es ist eben nicht für alle offen. Der neue Space soll auch ein Ort für selbständiges Lernen sein. Bis dahin praktizieren wir Coworking eher im Kleinen, das Schreibzentrum der Viadrina ist ein gutes Beispiel dafür.
Du besuchst mit Studierenden regelmässig Coworking Spaces – ist das nicht inzwischen wie Eulen nach Athen tragen?
Johanna: Keineswegs! In meinen meist international besuchten Seminaren sind die Coworking-Touren stets beliebt. Viele kannten das Konzept vorher nicht oder waren voreingenommen, dass da nur Latte Macchiato-schlürfende Startup-Gründer*innen am Kicker über die nächsten Finanzierungsrunden prahlen.
Das beste Feedback bekam ich von einer Studentin, die sich durch die Berührung mit den Themen der neuen Arbeitswelt dazu entschloss, ihr eigenes Unternehmen zu gründen. Wieder andere nehmen zumindest mit, dass es Alternativen zum täglich gleichen Gang in ein klassisches Büro in Form eines Angestellten-Verhältnisses gibt.
Gibt es eine zentrale Stelle, an der wir wichtige Studien und Erkenntnisse rund um Coworking und neue Formen des (Zusammen)Arbeitens finden können?
Johanna: Seit einiger Zeit arbeite ich gemeinsam mit aktiven Forscher*innen an einer Online-Datenbank. Zurzeit realisiere ich gemeinsam mit Carsten Foertsch von deskmag als Vertreterin der German Coworking Federation e.V. die Coworking Library. Bislang gibt es eine erste Tabelle, die einen Einblick in aktuelle Publikationen rund um das Thema Coworking bietet.
Im nächsten Schritt soll zur Coworking Library auch eine Webseite entstehen, auf der man gezielt nach Literatur suchen kann. Wir rufen alle Forschenden auf, ihre Veröffentlichungen rund um Coworking über ein Formular einzutragen (das erspart uns eine Menge Arbeit!). Wer unser Vorhaben unterstützen möchte, kann sich dazu gerne an mich wenden.
Auf der Cowork 2018 in Bremen bist Du Impulsgeberin auf dem Impuls Markt zu Coworking & Forschung – was erwartet die Teilnehmenden?
Johanna: Neben dem ‚Coworking-Quiz‘, das ich vorbereite und am Samstagabend auf der Cowork 2018 moderiere, werden wir im Rahmen des neuen Formats ‚Impuls Markt‘ mehrere parallel laufende Sessions anbieten. In einer davon dreht sich alles um die Coworking-Forschung.
Nach einem kurzen Input zu aktuellen Forschungstrends und Veröffentlichungen bin ich gespannt, welche Fragen die Teilnehmenden mitbringen. Denn auf der Coworking Konferenz Cowork treffen sehr verschiedene Interessengruppen zusammen: Betreiber*innen, Gründungswillige, Studierende, Vertreter*innen der Immobilienbranche oder einfach “nur” Coworking-Enthusiast*innen.
Im besten Fall können wir die aufgeworfenen Fragen und Anregungen zurück in die Forschung spielen und schon im nächsten Jahr zur Cowork 2019 konkrete Antworten bekommen. Das könnte von neuen Ideen für Fragen für die ‚Global Coworking Survey‘ bis hin zu Kooperationen für Abschlussarbeiten meiner Studierenden alles sein. Anything goes.
Weiterführende Links:
Vielen Dank, Johanna – ich bin sehr gespannt auf die Diskussionen in Deinem Part auf der Cowork 2018 in Bremen. Wir sehen uns! Wer mitdiskutieren möchte: Coworking Konferenz & Barcamp Cowork2018
Foto: Sarah Rüger via Johanna Voll • Illustrationen: DoSchu / Rayaworx • Cowork-Banner: German Coworking Federation e.V.
2 Antworten zu „Coworking: gekommen um zu bleiben“
[…] zum Blog von rayaworx, 27.02.2018 […]
[…] dieses Blog mit Johanna Voll. Darin sagte sie etwas, das die Überschrift des Beitrags prägte: Coworking ist gekommen, um zu bleiben. Damals stimmte alles in mir ihr zu. Heute bin ich mir da nicht mehr so sicher. Wir dachten […]