Diskussionsbeitrag zur COWORK virtuell
Aus einer sehr langen Liste von möglichen Mottos für die Online-Konferenz mit Barcamp COWORK virtuell im September wurde dieses gewählt: ‚Alles so schön CO hier…‘. Ein paar Gedanken und Fragen dazu aus meiner persönlichen Sicht.
Vor Jahren führte ich ein Interview für dieses Blog mit Johanna Voll. Darin sagte sie etwas, das die Überschrift des Beitrags prägte: Coworking ist gekommen, um zu bleiben. Damals stimmte alles in mir ihr zu. Heute bin ich mir da nicht mehr so sicher. Wir dachten ‚Yes: Coworking goes Mainstream‚ – aber damit begann sehr bald eine traditionell-wirtschaftliche Umdeutung.
Vielleicht fragst du dich, was sind das für Entwicklungen. Und wie betreffen sie insbesondere die von den Gründer:innen / Inhaber:innen selbst geführten Coworking Spaces. Darauf möchte ich hier eingehen.
Coworking als Modewort
Wie haben wir uns gewünscht, dass mehr Menschen von Coworking erfahren! Selber lernte ich 2009 die zaghaften Anfänge kennen und war schockverliebt. Inzwischen gehört das Wort mit ins Begriffs-Repertoire der Moderne und wird entsprechend als Etikett genutzt.
- Zum einen in der Immobilienbranche • Ein ungeschützter Begriff, so dass andernorts „Coworking“ als Schild aufgehängt wird, obwohl es sich vorwiegend um eine klassische Raumvermietung handelt. Massgeschneidert und anschlusssicher kompatibel mit der traditionellen Büroarbeit.
- Zum anderen in der Politik • Wirtschaftsförderung in der Lokalpolitik führt Coworking im Munde, weil es so zukunftsweisend klingt. Was dann umgesetzt wird zum Teil: siehe vor.
- Und andererseits in Unternehmen • ‚New Work‘ und ‚Coworking‘ werden in Cargo-Kult-Manier genutzt, um den abhängig Beschäftigten das Gefühl zu geben, es werde sich um sie bemüht. Aktuell erleben einige jedoch auch, wie rasch dieses Gefühl in finanziell enger werdenden Zeiten vorbei sein kann.
- Leider auch in den Medien • sehr lange wirkte es auf mich, als sei nur das mit Anzeigenbudget ausgestattete WeWork-Angebot für Redaktionen ‚das‘ Coworking.
Viel Schein, weniger Sein. Und wer nimmt sich schon die Zeit genauer hinzuschauen?
Da stellt sich die Frage, wie wir diejenigen erreichen können, die enttäuscht keinen weiteren Schritt in eine Coworking-Umgebung setzen? Die durch den Etikettenschwindel verpassen, was in Coworking steckt, was in ‚New Work‘ stecken kann?
Keine Zeit für CO
Für das COllaborative untereinander der verschiedenen Coworking Hosts nehmen sich diese wenig Zeit. Das ist zum einen erklärbar mit der Überlastung durch selbstständige oder Teilzeit-Tätigkeit neben dem Betrieb des Coworking Space inklusive Community Management. Und letzteres mit dem Anspruch, die Vernetzung der Community untereinander zu beflügeln.
Vor bald 10 Jahren wurde unter anderem von mir ein Verband ins Leben gerufen, als Dach zur Vernetzung der verschiedenen Coworking-Treiber:innen. Zum gemeinsamen Voranbringen und Weiterentwickeln der Zukunft der Arbeit. In den Anfangsjahren steckte da viel Energie und Aufbruchstimmung in den Reihen der jungen German Coworking Federation.
Inzwischen stelle ich fest, es sind doch weniger als damals gedacht, die aktiv die entwickelten Vernetzungsangebote nutzen. Noch kleiner fällt der Kreis derjenigen aus, die sich im Verband auf Organisationsebene engagieren. In anderen Verbänden erlebe oder vernehme ich allerdings sehr ähnliche Entwicklungen.
Ein Phänomen unserer Gesellschaft, in der das Gemeinsame erst mal ausgedient hat? Sind wir mit Coworking Spaces noch der Ort, an dem wir wichtige Antworten und Konzepte auf Fragen zur Zukunft der beruflichen und persönlichen Lebenswelt im Miteinander entwickeln?
Das Flexibilitäts-Primat
Geht es nicht günstiger? Können wir am Preis noch etwas machen? Kommt dir das als Host in einem inhabergeführten Coworking Space bekannt vor? Insbesondere jenseits der Metropolen ist diese im Sinkflug befindliche Preisbereitschaft der Anfragenden kaum noch zu verdauen. Infolge der insgesamt spürbaren Preissteigerungen müssten die Tickets verschärft durch die zunehmende HopOn/HopOff-Mentalität in der Nutzung deutlich teuer werden. Das zahlt dann jedoch niemand mehr.
Manchmal frage ich mich: Wie lange kann das inhabergeführte Coworking-Modell wirtschaftlich überleben?
Für all diejenigen, die über Coworking Tickets feilschen: Schauen wir doch mal darauf, wie günstig die meisten Boutique Coworking Spaces ihre Leistungen anbieten. Und wer im ländlichen Raum –und insbesondere bei uns als ausländische:r Resident:in– nach einem guten Platz zum Arbeiten sucht, wird irgendwann bemerken:
- Das Angebot gewerblicher Räume, die für Büroarbeit geeignet sind, ist in der Peripherie überschaubar. Hier bei uns in der Region Santanyí sogar sehr überschaubar.
- Die Mietkosten liegen für ein eigenes, kleines Büro mit 35-45 qm um die 500 Euro kalt. Dazu gesellen sich dann noch die Ausgaben für Möblierung, technische Ausstattung sowie die laufenden Kosten wie Reinigung, Instandhaltung, Strom, Wasser sowie den Internetanschluss. In Spanien sind in der Miete höhere Instandhaltungs-Aufwände sowie auf Mallorca höhere Möblierungs-Kosten zu kalkulieren.
- Das Pendeln zu einem Coworking Space in der Grossstadt kostet viel Zeit und Parkgebühren. Auf Mallorca erhöhen sich in den Tourismus-Monaten die mit dem Pendeln verbundenen Fahrtzeiten enorm.
- Jenseits einer Grossstadt gibt es selten Bürogemeinschaften, da Fluktuation und flexible Ansprüche schnell das Ende eines Mietvertrags bedeuten, wenn die verbleibenden Personen die Miete nicht mehr finanzieren können. Das kennen wir für die Region Santanyí gut aus gemeinschaftlichen Wohnprojekten, in denen jemand von einem Monat auf den nächsten das Land verlässt, wenn die Umsetzung der Ideen und Träume misslingt.
- In Spanien sind die persönliche spanische Identifikations-Nummer, ein spanisches Bankkonto und oft eine spanische Telefonnummer (Vertrag, kein Prepaid; dazu auch lokales Bankkonto erforderlich) Bedinungen, um Mietverträge sowie die Verträge für Strom, Wasser und Internet abschliessen zu können.
- Spanisch-Kenntnisse und Hinzuziehen professioneller Übersetzungs-Dienstleistungen sind weiters wichtig für die sichere Vertragsabwicklung.
Du siehst, wie viele Aspekte, Kosten und Risiken ein Coworking Space insbesondere in der Peripherie abnimmt, ja? Und die nur grob angerissenen Kosten trägt.
Die Möglichkeit zu ortsunabhängigem Arbeiten nimmt zwar zu, aber gleichzeit auch der Anspruch an grösstmögliche Flexibilität in der Nutzung eines Coworking-Angebots. Das erschwert jedoch eine finanzielle Planbarkeit für kleine Space-Angebote.
Ist es tatsächlich Coworking, was die neuen flexiblen / ortsunabhängigen Werktätigen in unseren Initiativen suchen? Oder handelt es sich dabei eher um ans Internet angeschlossene Bürozellen mit allen Schikanen und Münzeinwurf, die sie ohne Vorlaufzeit spontan nutzen können wie Toiletten auf einer Autobahn-Raststätte?
Mir kommen da Schlafkapsel-Hotels aus Japan oder inzwischen London und gar Karlsruhe in den Sinn.
Ego statt Community
Coworking Hosts, die nach dem Ideal streben, vernetzt mit anderen in einer interaktiven Business Community zu arbeiten, können in der Rolle einer Wifi-Schlüsselverwaltung kaum Erfüllung finden.
Reden wir auch hier über den Weg in die Exotik, die Nische?
Denn leider hat die Umsetzung einiger Menschen, was die neugewonnene Flexibilisierung ihres Arbeitens angeht, wenig bis gar nicht mit den Ideen zu tun, die ab 1995 zu den verschiedensten dritten Orten führten.
Den Coworking Initiativen, dier hier anknüpfen, ist gemeinsam:
- COworking – Zeitgleich an einem Ort zu arbeiten, jede:r am eigenen Projekt und in eigener Geschäftstätigkeit.
- COmmunity – Austausch untereinander sowie mit Menschen, die diesen Ort zeitweilig aufsuchen.
- COoperation – Kooperationen entdecken und Unterstützung finden.
- COllaboration – gegenseitige Ergänzung der Kompetenzen zur Zusammenarbeit in Aufträgen und Projekten.
- COlearning – durch das interaktive Miteinander voneinander und auch gemeinsam lernen.
- COcreation – im Miteinander Ideen finden, Prototypen entwickeln und Neues Realität werden lassen.
Findet dieses Miteinander an diesen Orten immer weniger statt, weil individuelle Bedürfnisse im Fokus stehen, dann entfällt die Grundstruktur für das Ausleben dieser Idee. Das schnelle Zusammenarbeiten auf der Basis des Win-Win-Prinzips: Ich helfe dir, du hilfst mir.
Wenn die individuelle Flexibilität, die persönlichen Bedürfnisse im Vordergrund stehen – verkommt Coworking zum Konsumgut?
Werden nun die Infrastrukturen dieser von einem solidarischen Community-Gedanken getragenen Coworking Spaces von Menschen mit einer deutlich ichbezogeneren Haltung bevölkert, denen politisches Potenzial zur Veränderung und Gedanken zur Verbesserung der (Arbeits-)Welt abgeht?
Und: Was macht das mit uns, die wir Coworking als Verbesserung der Arbeitswelt und sozialen Interaktionen sehen? Wohin entwickeln wir Anbietenden uns, die in Coworking Communities einen wichtigen, wenn nicht gar einen der wichtigsten Bausteine der Zukunft der Arbeit sehen und kein Interesse an einem Job in einer Bürokapsel-Verwaltung zum Discounter-Tarif haben?
Wie siehst du es?
Schreibe es mir gerne als Kommentar!
Hoffnungsschimmer
In unserer virtuellen Coworking Community erlebe ich täglich, wie gut es Menschen (im Homeoffice) tut, mit anderen beruflich Aktiven im nahezu täglichen Austausch zu stehen. In der ganzen ‚Geiz ist geil‘-Manie gibt es sie, diejenigen, denen eine Gemeinschaft am Herzen liegt. Die spüren, da ist mehr als nur das ‚Ich‘, die sich einem Wiedererlernen von Gemeinschaft öffnen. Im letzten Jahr kristallisierte sich ein schöner Begriff für unsere cowirk.space Community heraus: der Wohlfühl-Clan.
Und seit Jahren verfolge ich ein Projekt, das mich regelmässig mit positive vibes versorgt. Inspirationen, Praxistipps, ausprobierte Tools und Methoden in Papierform oder Online-Sessions aus dem Team um das Neue Narrative-Magazin:
Neue Narrative ist ein Wirtschaftsmagazin, in dem es nicht nur um Wachstum, Rendite und heroische Manager*innen geht. Wir erzählen Geschichten aus einer neuen, egofreien Arbeitswelt, die zum Anpacken, Nachmachen und Weiterdenken einladen.
https://www.neuenarrative.de/
Und ich freue mich wirklich wirklich, dass eine der Mitgründerinnen, die wunderbare Lena Marbacher, die Keynote zur virtuellen #COWORK2022 im September geben wird:
Gemeinsam eine Arbeitswelt gestalten, die gut für alle ist
lautet der Titel in der Ankündigung, der zum übergreifenden Motto der virtuellen COWORK2022 Alles so schön CO hier… passt.
Ein Impuls aus der Perspektive eines kleinen Verlags in Verantwortungseigentum, für dessen Magazin über eine neue, menschenzentrierte Arbeitswelt geschrieben, gleichzeitig der „Prototyp einer verantwortungsbewussten und unabhängigen Organisation“ gelebt wird. Klingt wie unsere Gedanken zur Coworking-Bewegung?
Lena Marbacher wird aus ihrem CO-Umfeld berichten, mit welchem collaborativen „Betriebssystem“ sie bei Neue Narrative arbeiten, wo Stolpersteine darauf warten, den Weg zur Neuen Arbeit zu blockieren.
Ich freue mich, wenn auch du Lust am Austausch dazu hast.
➼ COWORK2022 Virtuell 29./30. September 2022

Hinweis: Dieser Artikel entstand aus freien Stücken und wurde weder von dem angesprochenen Magazin noch der die COWORK veranstaltenden Organisation initiiert oder gar bezahlt. Ich bin Teil des ehrenamtlichen Teams, das die virtuelle Konferenz & Barcamp organisiert, technisch umsetzt und moderiert.
Illustration: DoSchu / Rayaworx • Banner #cowork von German Coworking Federation