#EFWEEK Online Salon mit Christian Cordes
Zum Auftakt der European Freelancers Week 2020 trafen wir uns im Online Salon mit Christian Cordes virtuell im Wolfsburger Space Schiller40. Denn dieser Space ist ein wunderbares Beispiel aus Deutschland, das beim Relaunch den Prinzipien des Design Thinking sehr umfassend folgte.
Das ist ein wichtiges Momentum, denn Design Thinking sollte nicht auf Workshops beschränkt angesehen werden. Das sind lediglich Startpunkte zum Vertrautmachen mit der Gedankenwelt und Methodik. Design Thinking kann dann nachhaltig wirken, wenn es als Haltung jederzeit das Arbeiten ergänzt. Das will Christian Cordes in der Gestaltung des von ihm geleiteten Coworking Space so einfach wie möglich machen. Beitrag mit Tipps sowohl für Hosts in punkto Ausstattung und Einrichtung als auch für Coworker, auf was sie bei der Wahl ihres Coworking Space achten können.

Ähnlich wie das Rayaworx startete auch der Wolfsburger Space zunächst in einer anderen Location: Von meinem Besuch in der damaligen Schillerstrasse 40 – daher der Name – berichtete ich im Space View-Interview in diesem Blog. Denn schon damals war das Schiller40 eine Besonderheit:
„Das Schiller40 im Kulturwerk ist das erste kommunal geführte Coworking Space in Deutschland und hat somit ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber den anderen. Ich wurde damals beauftragt dieses Konzept zu entwickeln und die Schnittstellen von Kultur, Wirtschaftsförderung und Immobilienwirtschaft in ein Coworking Konzept zu giessen. Das Ergebnis ist das Schiller40 mit seinem vielfältigen Aufgaben und Möglichkeiten.“
Christian Cordes
Daran hat sich nicht viel geändert, nur dass diesem Ziel nun auf deutlich grösserer Fläche mehr innovativer Raum gegeben wird. So ist auch die Gestaltung sehr unterschiedlich – von gemütlich über sachlich hin zu verrückt: Alles ist vertreten.* Das zeigte uns Christian auf der virtuellen Hausführung mit exemplarischen Stationen.
Design Thinking**
Für diejenigen, die sich noch nicht mit Design Thinking beschäftigt haben, hier eine kurze Zusammenfassung:
Lange herrschte die Annahme vor der Weg von einer Problemstellung zur passenden Lösung verlaufe recht geradlinig und einfach. Inzwischen werden wir uns zunehmend der tatsächlichen Komplexität und mangelnden langfristigen Vorhersehbarkeit bewusst, was diese Herangehensweise extrem herausfordert. Hier setzt das Design Thinking an, um mit systematischer Herangehensweise und multidisziplinären Teams komplexe Problemstellungen kreativ zu lösen. Der Ansatz stellt den Menschen in den Fokus, in mehreren iterativen Schritten wird sich der Lösung genähert.
Erfolgsfaktoren von Design Thinking:
- Multidisziplinäre Teams :: Eine Gruppe von fünf bis sechs Personen, die verschiedenste Facetten einbringen und ohne Konkurrenz zusammenarbeiten. Der Denkansatz von Design Thinking besteht darin, dass Probleme besser zu lösen sind, wenn Menschen aus den unterschiedlichsten Bereichen in einem die Kreativität anregenden Umfeld zusammenarbeiten. Sie entwickeln gemeinsam eine Fragestellung, die Bedürfnisse und Motivationen von Menschen berücksichtigen
- Variable Arbeitsumgebungen :: Für Ideenfindung oder Ausprobieren helfen Umgebungen, die in mehreren Dimensionen frei und flexibel auf die jeweiligen Bedürfnisse anpassbar sind: Raum, Mobiliar, Arbeitsmaterialien, Werkzeuge/Tools
- Iterativer Prozess :: Der Design Thinking-Innovationsprozess führt in iterativen Schleifen durch sechs verschiedene Phasen und fördert dabei eine offene Fehlerkultur, denn es wird versucht jenseits der „Grenze des Machbaren“ zu denken. Die Menschen, für die Lösungen entwickelt werden, werden dabei immer wieder einbezogen.
Design Thinking Aspekt: Variable Arbeitsumgebungen
Die Hausführung durch das Schiller40 macht fassbar, was wir als Coworking Hosts tun (oder tun können), damit Coworker oder Gäste ohne grosse Schwellen diese Herangehensweise in ihrem Alltag leben. „Ich möchte, dass immer die Möglichkeit besteht, kreativ loszulegen ohne einen bestimmten Raum aufsuchen zu müssen“, erklärt Christian, „daher ist viel Material breit gestreut über das ganze Space und jederzeit leicht zu finden.“ Einfach kreativ werden: mit Moderationskarten, Klebezetteln, farbigen Markern, Malkreiden, Aquarellfarben… – oder den Tools-Wagen mit allen möglichen Hilfsmitteln.
Die Räume sind flexibel gestaltbar, denn Möbel und Stellwände können leicht umgeräumt werden. Überall hängen Whiteboards, die zudem aus leichten Materialien sind und so von einem Raum in den anderen mitzunehmen sind. Viele Tische sind wie ein Whiteboard beschreibbar, Tische in den Meeting-Räumen sind kippbar für Raumgestaltung sowie weitere Whiteboard-Flächen. Die digitale Samsung-Flipcharts helfen ohne Medienbruch im Prozess zu bleiben, weil alles automatisch gesichert wird und damit aufwandsarm für die spätere Bearbeitung elektronisch zur Verfügung steht.

Design Thinking Aspekt: Visualisieren
Wichtiges Momentum des Design Thinking ist das Visualisieren der Gedanken und Ideen. „Hier habe ich ein paar nützliche Tools, die sich jeder Space anschaffen kann“, sagt Christian. Wenn verschiedenste Mittel bereit liegen, können die Gruppen oder Coworker einfach im Fluss des Design Thinking-Prozesses bleiben statt zu unterbrechen um auf Materialsuche zu gehen.
Ein paar Tools, die uns Christian zeigte:
- Moderationskarten-Leporello für Roadmaps oder Prozesse
- Selbstklebende Karten mit der Silhouette eines Menschen zum Beispiel für Personas
- Karten in Sprechblasen-Form in verschiedenen Grössen
- Sehr bewährt bei Trainer:innen hat sich nach Christians Erfahrung auch dieses dynamische Duo:
- bikablo – Nachschlagewerk für visualisierte Sprache mit erfolgreichen Bildsymbolen für niedrigschwellige Symbolik ohne dass wir ein Sketchnote Seminar besuchen
- mokablo – für das rasche Loslegen
Nebenher gab uns Christian noch weitere Tipps. Zum Beispiel sich beim Materialkauf auf Whiteboard-Stifte zu konzentrieren. Damit gibt es dann nie Probleme mit Whiteboards, auf denen mit permanenten Stiften geschrieben wurde. Er empfiehlt zu Beginn einen kleinen Materialrundgang für neue Coworker oder mit Trainer:innen vor ihrem Seminar. Dazu bewährte sich für Workshops der Mini-Werkzeugkoffer mit allen Adaptern und Ersatzbatterien für den Presenter, den jede:r Trainer:in für den gebuchten Raum persönlich übergeben wird.
Auf die Frage, ob sich die Workshops durch den Fokus im Schiller40 verändert haben, antworteten die befragten Trainer:innen, dass die Ergebnisse ihrer Seminare durchweg qualitativ besser seien. „Das ist ein wichtiger Punkt fürs Business: Denn der jeweilige Standard in punkto Ausstattung und Infrastruktur bleiben in Erinnerung“, freut sich Christian Cordes: „Ein Invest, das zurück kommt, wenn Trainer:innen immer wieder zu dir in den Coworking Space kommen.“
Design Thinking Aspekt: Thinking outside the box
Die Kreativität wird auch durch viele andere kleine und grössere Dinge angesprochen. Im Space verteilt sind Tools zum Spielen oder kreativen Ausprobieren:
- Klassische Lego-Bausteine
- Spielzeugpfeilpistolen
- Life of George für interaktives Bauen mit der zugehörigen iOS-App
- Creationary – nach dem Prinzip „Montagsmaler“ werden hier die zu ratenden Begriffe mit Lego-Bausteinen gebaut statt gemalt
- Spiel-Konsolen an den Monitoren
Design Thinking Aspekt: Mensch im Fokus
Besonders für Menschen, die schon länger in ihrem Beruf sind, ist es herausfordernd ihre Themen (oder Prozesse) auch mal anders anzugehen. Dazu ist die interdisziplinäre Community eines Coworking Space bereits ein wichtiger Baustein, andere Blickwinkel kennenzulernen und zuzulassen. Zum Teil auch die Dialogfähigkeit zu stärken (siehe Wir müssen reden).
Das Schiller40 geht da noch ein Stück weiter als viele andere Coworking Spaces: Denn weiter bestehen in der neuen Location der Anlaufpunkt für das lokale Repair Café und die Smartphone Schule für Senior:innen. Bei Fertigstellung wird es hier sogar ein permanentes Repair Café geben, wenn der geplante Maker Space mit Fokus Mikroelektronik und Folienplotter fertiggestellt ist. Dort werden zudem Ausstattungen für Textildruck, Siebdruck oder Nähen geben. In Wolfsburg bestehen bereits offene Werkstätten für Holz- und Metallwerkstatt an anderen Stellen.
Digitale Teilhabe
Das Schiller40 ist für mich ein sehr wichtiger Vorreiter zum Thema „Digitales Dorfgemeinschaftshaus“. Der bestehende große Nachholbedarf an Digitalkompetenz in der Bevölkerung kann mit solchen Angeboten wirksam angegangen werden. Städte und Gemeinden sind daher gut beraten mit Coworking Spaces als diese Schnittstelle zu den Bürger:innen zusammenzuarbeiten, sie zu fördern und zu unterstützen. Sonst werden bzw. bleiben viele Bevölkerungsgruppen kommunikativ abgehängt. Das Stichwort „digitale Teilhabe“ ist daher ein wichtiges Thema und ein guter Einstieg in der Diskussion mit lokalen Verwaltungen.
Herzliches Dankeschön für die ausführliche Hausführung an Christian Cordes / Schiller40 Coworking Wolfsburg!
Vernetzung mit Christian Cordes?
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- Urban Development Officer der Stadt Wolfsburg
- Leiter des Schiller40 Coworking Space facebook.com/Schiller40
- Gründungsmitglied und Vorstand der German Coworking Federation e.V.
- Podcaster und Radiomoderator des Logbuch Digitalien
- Profil Christian Cordes auf LinkedIn
* Artikel zum Umbau von der Markthalle zum Digitalen Wohnzimmer / Coworking Space siehe
From a former market hall into a digital living room.
** Was ist Design Thinking: hpi.de/school-of-design-thinking/design-thinking/was-ist-design-thinking.html
#EFWEEK Info
Dieser Online Salon fand im Rahmen der diesjährigen European Freelancers Week statt: Eine Woche voller Veranstaltungen in ganz Europa, organisiert von lokalen Initiativen, die unabhängige Fachleute zusammenbringen um zu inspirieren, zu verbinden, zu lernen, zu fördern, mitzugestalten und aktiv zu werden. (Liste Rayaworx EFweek 2020 Events)
Fotos: Christian Cordes / Schiller40 + Screenshots aus der virtuellen Hausführung (Doris Schuppe)