Coworkation: Was ist das, wer macht das?

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Coworkationist Sam

Coworking ist ja für viele noch Neuland, Coworkation, also die Kombination von Coworking und Reisen, noch mehr. Wie kombinieren Menschen ihre Reiselust mit beruflicher Tätigkeit unterwegs? Was ist ihnen wichtiger: Die Location oder die Coworking Community? Samantha Wolf ist diesen und anderen Fragen nachgegangen.

Sam lernte ich auf der europäischen Coworking Konferenz kennen. Mir gefiel gleich, dass sie das Thema Coworking und Tourismus nicht nur studiert sondern auch ins Reisen und Arbeiten von Coworking Spaces aus eintauchte. Als Coworkationist war Sam unter anderem auch bei uns in Santanyí auf der Insel Mallorca. Damals wollten wir natürlich mehr wissen zu ihrer Coworkation Studie, siehe hier: Future of Work – Sam will’s wissen.

Was hat sie zu Coworking und Tourismus herausgefunden, die frischgebackene diplomierte Wirtschaftpädagogin / Master of Arts (M.A. HSG) in Management, Organisation und Kultur?* Das erzählt uns Sam jetzt im Interview.

Coworkationist Sam
Coworkationist Sam

Herzlichen Glückwunsch zum Studienabschluss, Samantha! Coworking und Tourismus hast Du in Deiner Masterarbeit betrachtet – wie passen diese beiden Welten zusammen?

Samantha: Sehr gut – wie sich herausgestellt hat. Denn immer mehr Leute können oder müssen von unterwegs arbeiten. Die Verfügbarkeit eines Ortes, von dem aus man gut arbeiten kann, wird damit wichtiger für die Entscheidung, wohin es gehen soll. Hotels, Hostels oder Coffee Shops reichen da nicht mehr aus. Einerseits bieten sie oft kein produktives Umfeld, sie lassen einen minimalen Standard an nötiger Infrastruktur vermissen. Andererseits sind sie schlicht zu unpersönlich.

Nur knapp 60 Prozent der Befragten in meiner Studie empfanden Hotels als gute Plätze zum Arbeiten auf der Reise. Bei Hostels, AirBnB-Unterkünften sowie Coffee Shops fiel der Wert noch wesentlich niedriger aus.

Hingegen empfanden 90 Prozent der Befragten Coworking Spaces als gute Arbeitsplätze unterwegs. Die Spaces bieten reisenden Unternehmern, digitalen Nomaden und generell allen, die von unterwegs noch etwas arbeiten wollen oder müssen, einen gewissen minimalen Standard. Eine Basis, um produktiv arbeiten zu können: einen Tisch, einen bequemen Stuhl, eine gute Internet-Verbindung und ein produktives, motivierendes Umfeld. Denn so können die Befragten ihre Arbeitszeit effizient nutzen und haben noch genügend Zeit für den ‚vacation‘-Teil im Coworkation.

Work hard play hard ist das Motto von vielen Menschen – die Kombination von Coworking und Tourismus widerspiegelt dies und den Trend zu hybriden Ferien (multipurpose holidays).

Interessante neue Begriffe, die musst Du uns erklären, ja? Welche Erkenntnisse hast Du gewonnen?

Samantha: Schwierig das zusammenzufassen. Viele. 😉 Am glücklichsten war ich wohl über die Erkenntnis, dass Coworking und Tourismus tatsächlich einen Zusammenhang haben. Und dass sie für einander relevant sind. Am Anfang konnte ich mir da nämlich nicht so sicher sein – 2014 an der Coworking Europe Conference in Lissabon waren du und Rainer nämlich noch so ziemlich die Einzigen, die wissend nickten, als ich meine Idee zur Masterarbeit vorstellte.

Insofern ist die Tatsache, dass Coworkation bestens in eine Reihe genereller Tourismus-Trends einzuordnen ist wohl eine der wichtigsten Erkenntnisse.

Zum Beispiel bietet Coworkation eine neue Möglichkeit zu so genannten multipurpose holidays. Das sind Ferien oder Reisen, die mehr als ein Ziel verfolgen. Eine derartige Coworkation kann zum Beispiel sein, Tauchen zu lernen und gleichzeitig mit einem eigenen Projekt endlich durchzustarten. Hybride Ferienreisen werden immer beliebter je mehr die Grenzen zwischen Freizeit und Arbeit verschwimmen – und je weniger Zeit im Alltag für solche «side projects» bleibt.

Einen weiteren Trend greifen die Coworkation Betreiber erfolgreich auf: die so genannte ‚Neo-Tribalization‘. In einer Gesellschaft, in der traditionelle Orientierungsrahmen wie Religion und Familie an Bedeutung verlieren, suchen sich Menschen neue ‚Sinngemeinschaften‘, denen sie sich freiwillig anschliessen. Das zeigt auch meine Befragung, in der viele Coworker die Community eines Coworkation Spaces als einen der wichtigsten Gründe für ihren Aufenthalt dort nannten. Coworkation Spaces sind Treffpunkte für derartige Sinngemeinschaften, Anziehungspunkte – touristische Attraktionen im weitesten Sinne. Ich könnte hier noch eine Reihe weiterer solcher Tourismus-Trends aufzählen – sie zeigen, wie relevant Coworking bereits für den Tourismus gewisser Destinationen ist, oder sein könnte.

Coworkationists sind Coworker

Gibt es statistisch betrachtet einen typischen Coworkation-Coworker? Sind darunter auch Coworker mit Kindern?

Samantha: Ja, den typischen Coworkationist gibt es – und nein, keine Kinder. Coworkationists sind typischerweise unverheiratet, kinderlos und circa Mitte 30. Sie sind gut ausgebildet und technologieaffin. Konsequenterweise arbeiten die meisten von ihnen in wissensintensiven, online basierten Jobs im Dienstleistungssektor. Viele bezeichnen sich auch als Entrepreneur.

Coworkationists ähneln sich auch in ihren Einstellungen. Persönliche Freiheit und Flexibilität sind ihnen extrem wichtig. Oft wichtiger als die finanzielle Sicherheit eines festen Jobs. Auffällig ist, dass jeweils über 85 Prozent der Befragten ihre Arbeit als ‚fulfillling‘ (erfüllend) und ‚exciting‘ (spannend / aufregend) empfinden. Da diese Coworkationists oft an Dingen arbeiten, für die sie brennen, sehen sie kaum eine Notwendigkeit Arbeit und Vergnügen zu trennen. Für viele gehen diese vermeintlichen Gegensätze Hand in Hand – work-life-blending statt work-life-balance ist die Devise der Coworkationists, die in vielen Punkten charakteristisch für die so genannte hyperflexible GenerationY scheinen.

Ach, da fällt mir noch eine Anekdote zur Kinderfrage ein: Unverheiratet heisst nämlich nicht Single. Tatsächlich gaben zusätzlich zu den 17 Prozent verheirateter Coworkationists über 35 Prozent der Befragten an, in einer Beziehung zu sein. Insgesamt waren also weniger als die Hälfte der Teilnehmer Single. Während meiner Teilnahme am Coworking Camp in Tunesien habe ich denn auch zwei solcher Pärchen kennengelernt – das ist jetzt knapp zwei Jahre her und mittlerweile haben sie beide ein Baby. Und legten für die Babypause eine «stationäre» Phase ein. Ich bin gespannt, ob sie ihren nomadischen Lifestyle wieder aufnehmen, und ob die Zahl der «Coworkation Kids» mit der Zeit steigt.

Hast Du eine Lieblings-Location für Coworkation herausgefunden?

Samantha: Nein. Die Wahl einer Coworkation Location ist ebenso individuell wie die Wahl einer Ferien-Destination. Einige mögen es warm, andere zieht es in den Norden. Die eine bevorzugt Städtereisen, ein anderer sehnt sich nach Ruhe und Natur.

Entsprechend unterscheidet sich die Destination nach Zweck und Form der Coworkation-Reise. Um ein paar Beispiele zu geben:

  • Kreative, die eine Pause vom Stadtleben brauchen und in einer neuen Umgebung Inspiration suchen, halten Ausschau nach einem Coworkation Space auf dem Land.
  • Der privat surfende Unternehmer will vielleicht neue Kontakte knüpfen und geht nach Teneriffa.
  • Die Journalistin, die sich nach Sonnenwärme und guten Tapas sehnt, wird nach Mallorca reisen.

Oft geht es dabei weniger um die konkrete Destination, als um den Space und die Community die man dort erwarten kann. 61 Prozent der für meine Studie Befragten gibt an, in erster Linie wegen des Coworkation Spaces gekommen zu sein. Die Location war für sie sekundär. Einige erklärten gar, sie seien nicht wegen sondern trotz der Destination, die sie eigentlich als unattraktiv empfanden, gekommen. Solche Resultate zeigen die starke Anziehungskraft von Coworkation Spaces und damit auch ihr Potenzial für den Tourismus.

Coworking wichtiger als Destination

Welche Tipps kannst Du aus Deinen Studien für Menschen ableiten, die sich für Coworkation interessieren?

Samantha: Ausprobieren, ausprobieren, ausprobieren! Dabei empfehle ich zwei Dinge zu beachten, die ich weniger aus meiner Studie als vielmehr aus meinen persönlichen Erfahrungen ableite:

Erstens ist es, insbesondere für ‚Anfänger‘ wichtig, ein möglichst konkretes Ziel zu haben und die Coworkation Zeit etwas vorzuplanen. Wer sich ohne Zielsetzung aufmacht, erliegt vielleicht den attraktiven Ablenkungen der Feriendestination. Es kann schwer fallen, dem Strand, den Tapas, den Ausflugs- und Sportmöglichkeiten zu widerstehen. Da kann es schon zu einem Gefühl von Fear of Missing out (FoMo) kommen – besonders auf der ersten Coworkation und wenn diese nur eine kurze Zeit dauert.

Die geplante Coworkation wird dann schnell zu einer reinen vacation, die Ideen für die berufliche Tätigkeit bleiben Ideen. Eine erfolgreiche Coworkation braucht daher nach meiner Erfahrung eine gute Portion Disziplin und eine work hard – play hard-Einstellung. Bereits vor dem Reiseantritt sollten Coworkationists überlegen, welches Verhältnis von Ferien und Arbeit sie anstreben, und welche Zeitfenster sie für welche Aktivitäten vorsehen.

Zweitens nicht gleich aufgeben, wenn das erste Experiment missglückt. Mit Coworkation Spaces ist es ganz ähnlich wie mit Coworking Spaces – nicht jeder passt zu jedem. Die Konzepte, Orte, Hosts, Communities, etc. sind völlig verschieden und jeder Coworkation Space einmalig. Wem es am einen Ort nicht gefiel, der wird den nächsten vielleicht am liebsten gar nie mehr verlassen.

Genauso ist es ja auch mit den Coworking Spaces in einer Stadt – jeder ist anders aufgestellt. Für die Betreiber von Spaces: Welche Anforderungen haben Coworkation-Coworker? Unterscheiden sich diese von „normalen“ Coworkern?

Samantha: Knapp 80 Prozent der von mir befragten Coworkationists sind mit Coworking vertraut, bevor sie eine Coworkation machen. Die beiden Gruppen ‚Coworkation-Coworker‘ und ’normale Coworker‘ überschneiden sich also stark und sind so auch in Sachen Anforderungen sehr ähnlich.

Natürlich wird aber vieles, was zuhause als selbstverständlich angesehen wird, auf Reisen zu einer konkreten Anforderung. Zuoberst auf der Liste:

  • Zuverlässiges Internet
  • Gute Stühle und Schreibtische
  • Eine freundliche, eher ruhige, und vor allem produktive Atmosphäre

Coworking Spaces helfen hier: Denn statt im Hotelzimmer allein oder im Hostel neben Gästen in Partystimmung versuchen zu arbeiten, können sie sich im Coworkation Space mit Leuten umgeben, die genauso arbeiten und produktiv sein wollen.

Werden wir in 30 Jahren nicht mehr von Tourismus sprechen, weil flexibler Ortswechsel ganz normal stattfindet?

Samantha: Insbesondere unter jungen, gut ausgebildeten Wissensarbeitern scheint es tatsächlich eine Tendenz zu einem Leben on the move zu geben. Steve Munroe, einer der Gründer von Hubud, hat in einer Panel Diskussion mal gesagt: „The migration to everywhere is underway“. Wer sich in der Coworking und Coworkation-Szene bewegt, ist geneigt dem zuzustimmen. Oft liegt hier aber wohl auch ein gewisses ‚Bubble-Denken‘ vor. Ich glaube ja, wir werden flexibler, und ja, wir werden mobiler. Momentan gilt das aber noch immer nur für einen kleinen – wenn auch wachsenden – Teil der Gesellschaft. Unternehmen und deren Arbeitsbedingungen reagieren momentan doch noch erst sehr langsam auf diese Trends und Tendenzen.

Die Digitalisierung eröffnet neue Möglichkeiten für immer mehr Leute: Ausschlafen und dafür am Abend länger arbeiten, über Mittag die Sonne geniessen und dann bis Mitternacht arbeiten, oder ab und zu von unterwegs oder aus dem Ferienhaus arbeiten. Diese neuen Chancen werden zunehmend genutzt.

Ob diese wachsende Flexibilität in der Arbeitswelt und das damit einhergehende Verschwimmen der Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit tatsächlich zu einer Welt führen, in der wir nicht mehr reisen sondern einfach permanent mobil sein werden, wie Brian Chesky einst vorhersagte …. das wird sich zeigen. Sicher ist, dass die Zeitpläne des Lebens und Arbeitens zunehmend heterogener und individueller werden und dass die aktuellen demografischen und soziokulturellen Veränderungen einen gravierenden Einfluss auf den Tourismus haben werden.

Wie hat sich für Dich persönlich das Eintauchen in die Coworking-Szene und die eigenen „Coworkations“ angefühlt?

Samantha: Das war eine tolle Erfahrung. Die Offenheit und Hilfsbereitschaft der Coworking-Szene hat mich wirklich beeindruckt. Sich in dieser Szene zu bewegen stimmt einem wirklich positiv.

Ich habe in dieser Zeit unglaublich viele neue Leute kennengelernt und Freundschaften auf der ganzen Welt geschlossen. Besonders bereichernd fand ich die Vielfalt an unterschiedlichen Lebensstilen und -einstellungen in die ich durch diese ganz unterschiedlichen Leute Einblick erhalten habe.

Ausserdem habe ich natürlich zahlreiche neue Orte besucht, darunter viele die ich sonst vermutlich nie in Betracht gezogen hätte – und überall habe ich mich willkommen, aufgehoben und zuhause gefühlt.

Was wirst Du als nächstes tun?

Samantha: Ich bin fest davon überzeugt, dass Coworkation für zahlreiche Tourismusdestinationen grosse Chancen bieten kann. Insbesondere für solche, die ihr Potenzial noch nicht ausgeschöpft haben und solche, die ihre besten Zeiten hinter sich haben. Coworkation ist ein innovatives Tourismuskonzept, welches solchen Orten bei der Erschliessung neuer, zukunftsträchtiger Kundensegmente helfen kann. Ausserdem glaube ich fest an das Potenzial der Ideen und Konzepte welche sowohl Coworking als auch Coworkation zugrunde liegen: Community, Kollaboration und Mobilität. Aus diesen Gründen werde ich das Thema auf jeden Fall weiterverfolgen, am Ball bleiben, weiter darüber sprechen, schreiben und informieren.

Das Ganze war für mich viel mehr als eine Masterarbeit und der Abschluss meiner Studie bedeutet für mich keinesfalls das Ende meiner Coworkation Zeit – im Gegenteil. Jetzt wo die Arbeit endlich durch den universitären Prozess durch ist, kann es so richtig los gehen. Momentan arbeite ich daran, meine Erkenntnisse aufzuarbeiten und für die Coworking Szene nutzbar zu machen.

Deklariertes Ziel der Arbeit war es aber von Anfang an, nicht nur Coworking Spaces zu helfen, ihr touristisches Potenzial zu nutzen. Genauso möchte ich touristischen Destinationen bzw. den federführenden Personen im Destinations-Management aufzeigen, welchen Wert Coworking Spaces für sie haben könnten, wo sie von ihnen lernen, mit ihnen zusammenarbeiten und von ihnen profitieren könnten. Das ist wohl der schwierigere Teil der Umsetzungsarbeit – aber ich bin dran!

Auf jeden Fall bleibe ich der Coworking und der wachsenden Coworkation Szene erhalten – Ich zähle mich ja mittlerweile selber zum festen Inventar und so schnell werdet ihr mich nicht mehr los!

Das ist ja klasse! Dann freu ich mich auf die nächste Coworkation bei uns – oder ganz verwegen: Vielleicht suchen wir ja mal gemeinsam einen schön gelegenen Coworking Space andernorts auf…

Vernetzung mit Samantha Wolf

(Co)Workation hier im Blog


* Wolf, Samantha (Nov. 2016). Coworking as a new relevant trend for tourism? An exploratory study. [Master Thesis]. Institute for Systemic Management and Public Governance (IMP-HSG). University of St. Gallen (unpublished). Betreuender Professor der Master-Arbeit war Pietro Beritelli, dessen Forschungsgruppe sich mit betriebs- und volkswirtschaftlichen Fragen in Tourismus und Verkehr befasst.

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Coworkation: Was ist das, wer macht das?

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Eine Antwort zu „Coworkation: Was ist das, wer macht das?“

  1. […] (Update) Interview zu den Ergebnissen ihrer Masterarbeit: Coworkation: Was ist das, wer macht das? […]

¡HOLA!

(de) Hier bloggen Doris (DoSchu) & Rainer über Coworking, Coworkation, „work anywhere“ sowie aus dem Coworking Space Rayaworx in Santanyí
(en) Doris (DoSchu) & Rainer blog about coworking, coworkation, work anywhere, and news from the coworking space Rayaworx Mallorca

Doris & Rainer Rayaworx Mallorca
(Foto: Simone Naumann)

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