Einen sehr langen Namen besitzt die Strasse, in deren Hausnummer 43 unser Coworking & Meeting Space in Santanyí liegt: Carrer Bernat Vidal i Tomàs. Wer oder was ist der Hintergrund zum Strassennahmen?
Mein erster Gedanke: Das waren zwei Brüder, der Bernhard und der Thomas.
Nun, es ist der Name eines 1918 hier in Santanyí geborenen Mannes, der als Apotheker, Dichter, Historiker und Schriftsteller in die Geschichte einging.
An sein Engagement sowohl für die Gemeinde als auch die Poesie Mallorcas erinnert die 1976 nach ihm benannte Strasse – fünf Jahre nach seinem Tod in Palma de Mallorca. Die Ehrenbürgerschaft verlieh ihm die Stadt Santanyí 1982.

Poesie aus Santanyí
Im Internet fand ich nur ein einziges Gedicht von Bernat Vidal i Tomàs, und dazu – wie ich inzwischen lernte – nur die erste Strophe des Werks. Komplett ist es ein Gedicht in fünf Strophen zur Geburt der Venus („Naixement de Venus“).
Die Übersetzung… nun ja: Wer wie ich bereits Poesie von Baudelaire im Französisch-Unterricht übersetzte, weiss wie schwierig es ist, die richtigen Bedeutungen der Worte einer symbolhaften Poesie zu erkennen.
Mit dem mallorquinischen Philologen Cosme Aguiló Adrover in Santanyí sprach ich über Bernat Vidal i Tomàs, der ihn noch persönlich kannte. Aus der umfangreichen Büchersammlung in seiner Bibliothek lieh mir Cosme ein Büchlein mit Werken des Dichters. Just beim Verlassen des Hauses trafen wir dessen Tochter auf der Strasse!
Eine Übersetzung des Venus-Gedichtes ins Deutsche, ja das sieht auch sie nicht als eine leichte Sache an. Hm.
Tarrassó – Oh!
Ich blättere also durch die Gedichte in dem Büchlein, versuche mich in dem einen oder anderen Vers an einer Deutung. Dann lese ich ein kurzes Gedicht, das mir richtig gut gefällt.
Ein sehr kurzes Werk, ungewöhnlich in der Form im Vergleich zu den anderen Gedichten der Sammlung. Und es zauberte mir ein staunendes „Oh!“ ins Gesicht.
Lest selbst:
TARRASSÓ
Bernat Vidal i Tomàs *
OH! Oh! Oh!
A la Cala en Tarrassó:
Stravinsky del pinzell,
Freud, mig trompa de color.
Oh!
Davant de la vostra Cala, gran Tarrassó,
la boca és una immensa O.
Was hast Du von dem Text verstanden? „Oh“ und „Cala“ sowie Strawinsky und Freud nehme ich an. Zwei berühmte Persönlichkeiten, die zur Zeit von Bernat Vidal i Tomàs aufgrund ihrer bahnbrechenden Innovationen diskutiert wurden.
Wo liegt nur dieses Cala de Tarrassó?
Poesie verehrt Kunst der Farben
Ich suchte nach einer Gegend namens Cala de Tarrassó, auf Mallorca hatte ich von dem Ort bisher noch nie gehört. Und ich werde auch nichts davon hören: Handelt es sich in dem Gedicht nämlich um ein Bild namens „Cala“, gemalt von Tarrassó (Casimir Tarrassó Martínez (1900-1979) aus Barcelona).

Tarrassó malte viel auf Mallorca, unter anderem dieses Bild von der Bucht bei Deià (Cala Deià) . Vielleicht war es genau dieses Gemälde, dass Bernat Vidal i Tomàs so begeisterte, dass er dem Maler sein kleines, verehrendes Gedicht widmete.
In meiner laienhaften Übersetzung deute ich das Gedicht in deutscher Sprache wie folgt:
OH! Oh! Oh!
In der „Bucht“ von Tarrassó:
Strawinsky der Pinsel
Freud, halbtrunken von Farbe
Vor Deiner „Bucht“, oh grosser Tarrassó,
formt der Mund ein riesiges O.
Die Zeile mit Freud konnte ich nur mit Hilfe von Cosme lösen 🙂 – Moltes Gràcies!
Jedenfalls sind wir hier in einer Strasse benannt nach einer kreativen und engagierten Persönlichkeit des letzten Jahrhunderts. Ein wunderbarer Ort für einen Coworking Space – oder?
* Quelle: Bernat Vidal i Tomàs, El Viatger – obra poètica, Consell de Mallorca, Department de Cultura, Palma 2002
Update Prosa in den Strassen Santanyís
Zum 100. Geburtstag von Bernat Vidal i Tomàs spendiert die Stadt 2018 vielen Gebäuden der Stadt ein Jahr lang Poster großgedruckter Gedichte.
An einem Gebäude auf der Plaça Major von Santanyí prangt das Gedicht, das Vidal i Tomàs dem Maler Miró widmete:

Und auch mein Lieblingsgedicht „TARRASSÓ“ ist dabei und ziert die Fassade des Casa Cultura Ses Cases Noves.

Fotos: eigene Fotografien des Büchleins zu Bernat Vidal i Tomàs sowie der Fassaden in Santanyí 2018