Du bist Freelancer in Deutschland und fragst Dich in letzter Zeit, „Warum habe ich zunehmend das Gefühl für meine Initiative und Selbständigkeit quasi bestraft zu werden?“
Ein Thema, dass ich jüngst im bedndesk mit dem Finanzjournalisten Andreas Kunze ansprach, den ich auf der Web Engineering Unconference Europe kennenlernte. Und als wir uns im bedndesk neuerlich trafen, unterhielten wir uns über die Situation der Selbstständigen in Deutschland und der Autónomos in Spanien.
Denn kurz zuvor las ich eine Befragung unter IT-Freelancern der VGSD (Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland). Darin gaben 90 Prozent der Befragten an, dass Aufträge oder Projekte aufgrund der bestehenden Rechtsunsicherheit beim Einsatz von Selbstständigen beendet wurden. Sie berichteten von Projekten, die an Dienstleister im Ausland vergeben werden, da bei IT-Kräften aus Deutschland eine vermeintliche Scheinselbstständigkeit nicht ausgeschlossen werden kann.*

fintext.de / finblog.de
:: Andreas, wie schätzt Du das Thema ‚Scheinselbstständigkeit‘ in Deutschland ein: Ist das nur eine vorübergehende Phase?
Andreas Kunze: Aktuell sehe ich tatsächlich eher schwarz für die Situation der Freelancer in Deutschland. Der Unternehmergeist für das eigene (kleine) Business wird kaum gefördert, wenig unterstützt und häufig regelrecht behindert.
Klar zeichnet sich schon ab, wie die Digitalisierung bestehende Standort-Nachteile für Freelancer und Selbstständige noch verschärft. Da sind zum einen die genannte Scheinselbstständigkeit, aber auch die Abgaben an die Künstlersozialkasse zu nennen. Und – Stichwort New Work: Viele Jobs sind mittlerweile remote möglich, ob nun Text, Research, Graphik, Übersetzung, Programmierung etc. Diese können Menschen aus anderen Ländern Europas wie auch Indien oder Russland machen. Ein positiver Lichtblick: Das gilt übrigens genauso für deutsche Freelancer: Sie haben die Option auf Malta oder Mallorca zu leben und von dort ihre Jobs zu erfüllen.
:: Beispiel Spanien: Hast Du die Kosten für Krankenversicherung / Sozialversicherung / Rentenversicherung über den Daumen gepeilt für Selbstständige oder Freelancer in Deutschland mit den sogenannten Autónomo in Spanien verglichen?
Andreas Kunze: Ja, und die Kurzfassung meines Vergleichs lautet: In Spanien ist es einfacher und günstiger. Jeder Autónomo muss in die Sozialversicherung einzahlen und damit sowohl eine gesetzliche Krankenversicherung als auch eine gesetzliche Rentenversicherung haben. Unsicherheiten wie in Deutschland, ob eine Pflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung besteht, gibt es damit nicht.
Betrachten wir die Zahlen genauer. Das Gesamtpaket kostet in Spanien derzeit ab 280 Euro im Monat. Im ersten Jahr sind es sogar nur 50 Euro im Monat, im zweiten Jahr gibt es noch einen deutlichen Rabatt.
Anders als in Deutschland sind die Sozialabgaben nicht strikt an das Einkommen gekoppelt. Nur der Mindestbeitrag von 280 Euro ist Pflicht, auch wenn man ein sehr hohes Einkommen hat. Etwa 90 Prozent der Autónomos in Spanien zahlen nur den Mindestbeitrag. Entsprechend gering fällt dann das aber auch Krankengeld oder die Rentenanwartschaft aus.
:: Guter Punkt! Sprechen wir mal über die Rente: Wie hoch ist der niedrigste Betrag in Spanien, und wie lange muss ich in Spanien eingezahlt haben, um dort in den Anspruch der Rentenzahlung zu kommen?
Andreas Kunze: Mit dem Autónomo-Mindestbeitrag, der Krankenversicherung und Rentenversicherung gleichermaßen abdeckt, erwirbt der Autónomo bereits Rentenanwartschaften. Um später eine Rente in Spanien zu bekommen, sind 15 Jahre Sozialversicherung nötig, davon die letzten beiden in Spanien.
Wer z.B. 10 Jahre in Deutschland in die gesetzliche Rente eingezahlt hat, kann diese Zeit mitnehmen und anrechnen lassen. Dann würde in diesem Beispiel 5 Jahre Autónomo in Spanien reichen, um eine spanische Rente zu bekommen. Selbst wer 15 Jahre lang nur Mindestbeitrag gezahlt hat, hat Anspruch auf eine Mindestrente: derzeit 643 Euro für Alleinstehende, 836 Euro für Verheiratete.
Als entscheidenden Vorteil sehe ich aber, dass spanische Rentnerinnen und Rentner automatisch eine kostenlose gesetzliche Krankenversicherung haben, während in Deutschland die Krankenversicherungs-Beiträge noch von der Rente abgehen.*
:: Ok, wenn sich Freelancer nun entscheiden nach Spanien (oder in ein anderes europäisches Land) umzuziehen, an was sollten sie unbedingt denken?
Andreas Kunze: Klingt etwas großväterlich, ist aber nützlich: Vor dem Auswandern sollte man bewandert sein, und zwar mit den Regelungen des Landes:
- Was kostet eine Unterkunft?
- Wie hoch sind die Kosten für den Lebensunterhalt?
- Wann und wo muss ich mich anmelden?
- Welche Papiere sind erforderlich?
- Welche Versicherungen müssen neu abgeschlossen werden (privat / beruflich)?
- Wo ist zu versteuern?
Dafür gibt es gute Quellen im Internet.
Keineswegs sollten sofort alle Brücken abgebrochen werden. Die EU-Harmonisierung macht es möglich, dass beispielsweise deutsche Versicherungen zumindest vorübergehend auch im EU-Ausland in Anspruch genommen werden können.
Für Spanien kann ich nur empfehlen: Für Selbstständige ist eine Gestoría (so eine Art Steuerberatungsbüro) sehr hilfreich und auch erschwinglich.
:: Ja, eine Gestoría ist in Spanien sehr praktisch. Was kannst Du Freelancer für ein rasches Einleben und Reinkommen ins produktive Schaffen empfehlen?
Andreas Kunze: Am besten ist es, einige Kundschaft mitzunehmen und sie vom Ausland aus zu betreuen. Es muss Kunden nicht unbedingt auf die Nase gebunden werden, dass man künftig am Mittelmeer sitzend mit ihnen Geld verdienen möchte. Das weckt nur Neid.
Vor Ort ist es wichtig, Kontakte zu schaffen, die einem weiterhelfen. Das können andere Selbstständige sein, von deren Erfahrung man lernen kann; das können potenzielle Kunden sein. Coworking und Meetup-Treffs sind dafür ideal. Und natürlich: die fremde Sprache lernen. Ansonsten wird es schwer, im Ausland heimisch zu werden.
:: Herzlichen Dank, Andreas – y hasta la próxima!
Infobox • Andreas Kunze
Finanzjournalist Andreas Kunze schreibt vor allem über Altersvorsorge, Immobilien und Versicherungen. Nach Stationen in bekannten Finanz-Redaktionen startete Andreas 2011 seine Selbstständigkeit mit der Fachpresseagentur Fintext.de. Inzwischen beliefert seine Agentur über 80 Medien (Print, Online, TV) in Deutschland mit Texten, Informationen und Einschätzungen rund um Geld, Recht, Versicherungen, Steuern und Immobilien. Er liebt das Meer und die Sonneninsel Mallorca, wo er gemeinsam mit der Mallorca Zeitung ein Immobilienportal (ImmolistMallorca) betreibt und sich unter anderem ausführlich mit dem Kauf einer Finca auf Mallorca beschäftigt.
Website: fintext.de
Blog: finblog.de
Xing-Profil: xing.com/profile/Andreas_Kunze11/
* Links zur Vertiefung
- VGSD / GULP-Umfrage mit alarmierenden Zahlen: Rechtsunsicherheit führt zu Brain-Drain und Verlust von Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland: vgsd.de/vgsd-gulp-umfrage-mit-alarmierenden-zahlen-rechtsunsicherheit-fuehrt-zu-brain-drain-und-verlust-von-innovations-und-wettbewerbsfaehigkeit-in-deutschland/
- La Pension minimia de Jubilación: larazon.es/economia/la-pension-minima-de-jubilacion-se-situara-entre-643-y-836-euros-al-mes-LG21142933
Fotos: Illustrationen Doris / Rayaworx mit Canva.com • Portrait Andreas Kunze / fintext.de
3 Antworten zu „Freelancer in Deutschland vs. Autónomo in Spanien“
[…] · • ● ○ Die Digitalisierung ermöglicht vielen Freelance-Tätigen –insbesondere in der Softwareentwicklung– den Ort ihrer Berufstätigkeit neu zu wählen. Vor dem Hintergrund der vermuteten „Scheinselbständigkeit“ bei IT-Freelancern in Deutschland ist das europäische Ausland wie beispielsweise Spanien eine durchaus spannende Alternative. Dazu habe ich mich mit dem Finanzjournalisten Andreas Kunze über die Situation der Selbständigen in Deutschland und der Autónomos in Spanien unterhalten: ↪rayaworx.eu/blog/post/freelancer-deutschland-vs-autonomo-spanien […]
Hallo, bezüglich der Rente steht oben geschrieben das man als Spanischer Autono mo bereits eine Rentenanwerterschaft hat und das man bei 15 Jähriger einzahlung in die Rentenkasse, (davon 2 Jahre in Spanien) einen Anspruch auf die Spanische Mindestrente hat.Nehmen wir mal an ich hätte 13 Jahre in Deutschland eingezahlt, wenn ich jetzt in Spanien noch als Autonomo 2 Jahre in die Sozialversicherung einzahle, hätte ich ja die 15 Jahre zusammen. Ich kann nur leider hier in Spanien keine Information darüber bekommen und meine Gestoria, weiss da auch nichts von. Die sagten mir die Rente hätte außschließlich von Deutschland zu kommen. Können Sie mir bitte mal die Quelle nennen wo die oben geschriebene Information her kommt, gibt es einen Text in Spanisch der diese Angaben bezüglich der Mindestrente belegt? Über eine Antwort bezüglich meiner Frage würde ich mich sehr freuen, mfg Peter Storck
Hola Peter,
wie schön das Sie den Blogbeitrag bei Ihren Recherchen entdeckt haben. Für diesen Artikel habe ich damals den Finanzjournalisten Andreas Kunze interviewt. Die Nachfrage zu Quellen, mit denen dann in der geschilderten Situation gearbeitet werden kann, geht am besten zu ihm. Im Impressum seiner Website sind Kontaktdaten notiert, verweisen Sie gerne bei Kontaktaufnahme auf das Interview.
Ich wünsche gute Erkenntnisse! Herzliche Grüsse, Doris